Anfang des Jahres gingen wir alle noch davon aus, das diesjährige Gedenken an die verunglückten Motorradfahrer*innen der Saison 2019 traditionell abhalten zu können. Gemeinsam wären wir vom Verkehrssicherheitstag in Salzgitter-Lebenstedt nach Braunschweig gefahren, um dort den verstorbenen Biker*innen zu gedenken. Doch die anhaltende Situation der Covid-19-Pandemie zwang uns, Pläne und Traditionen, die sich bis dahin über die Jahr(zehnt)e gefestigt hatten, plötzlich zu überdenken und neue Wege suchen zu müssen.
Schon bald war klar, dass dieses Jahr alles anders sein würde – auch die Veranstaltung am letzten Samstag im April. Sobald sich abzeichnete, dass wir die Veranstaltung nicht wie gewohnt umsetzen konnten, begannen wir in Vorstandssitzungen und Gruppentreffen nach möglichen Alternativen zu suchen. In diesem Prozess mussten wir unsere Ideen mehrmals der anhaltenden Situation anpassen, was meist auch weitere Einschränkungen zur Folge hatte. Schließlich stellten wir uns die Frage, was uns an der Veranstaltung Ende April eigentlich am wichtigsten ist, worauf es uns ankommt und was davon wir in reduzierter Form auch 2020, trotz Corona, umsetzen könnten.
Schließlich waren wir uns einig: der Verkehrssicherheitstag ist ein wichtiges Element unserer Veranstaltung, allerdings keines, auf das wir nicht (ausnahmsweise einmal!) verzichten könnten. Selbstverständlich fehlt das gemeinsame Moped-Gucken, das Klönen und Austauschen, wie es bei einem so traditionsreichen „Familientreffen“ der Fall ist, doch auch andere Familienfeiern mussten dieses Jahr leider ausfallen. Die gemeinsame Fahrt im Konvoi, das Gefühl, ein Teil von etwas Wichtigem, Größerem zu sein, das Vibrieren des Bodens, wenn nahezu gleichzeitig tausende Bikes angelassen werden – hier fiel uns der Verzicht bereits deutlich schwerer. Bis zum Schluss wollten wir dieses Gefühl nicht aufgeben. Als es jedoch zur alles entscheidenden Frage der Umsetzbarkeit kam, wurde uns auch hier klar, dass dies ein wichtiger Teil ist, aber nicht jener, der den Gedanken der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Motorradfahrer (ACM) trägt und seit jeher geprägt hat.
Nach dem Motto „Back to the roots“ kamen wir schließlich wieder zurück – zurück auf Los, zurück zum Ursprung. Das, was die ACM ausmacht, kristallisiert sich im bewussten Gedenken an die verunfallten Biker*innen, deren Kreuze wir jedes Jahr aufstellen und in deren Namen wir eine Kerze anzünden. Eine Kerze, die für den Verlust und die Trauer um einen geliebten Menschen steht, die ein Licht der Hoffnung und unseres Glaubens ist und manchmal einfach ein Quell der Wärme in der Einsamkeit. Eine Kerze stellen wir dabei jedes Jahr vor ein namenloses Kreuz, das stellvertretend für all jene steht, die wir nicht namentlich nennen, kennen oder die andernorts verunglückt sind. Dies ist ein weiterer Aspekt dieses besonderen Moments, in dem selbst den hartgesottensten Biker*innen das Wasser in die Augen steigt – wir werden uns nur allzu bewusst, dass auch unser Name auf einem dieser Kreuze stehen könnte oder der Name eines geliebten Menschen einmal dort stand. Umso wichtiger sind uns die zentralen Botschaften der ACM. Das Gedenken zeigt uns, wie wichtig Partnerschaft, gegenseitige Rücksichtnahme und Verantwortung jedes Einzelnen für alle Verkehrsteilnehmer sind.
Ursprünglich als Randgruppe stigmatisiert und heute noch teilweise kritisch beäugt, war und ist es besonders wichtig, „für uns“ einen Ort im Braunschweiger Land zu haben. Einen geschützten Raum, in dem wir „unter uns“ und offen für Angehörige und Freunde um die Verunglückten trauern und ihnen gedenken können. Im Austausch mit Gleichgesinnten kann eine Versöhnung mit dem Thema „Motorrad“ stattfinden, um die eigenen Reifen wieder sicher auf die Straße des Lebens zu bekommen.
Aus diesen Gedanken heraus entschieden wir uns, mit Zustimmung der Gruppe, einzig den Gedenkgottesdienst abzuhalten und alles andere zu streichen. Damit sich niemand in einer der großen Braunschweiger Kirchen verliert oder es zu einer Art Mini-Demotag-Gottesdienst würde, fand der Gedenkgottesdienst dieses Jahr in der Kirche der Gemeinde Heilige Dreifaltigkeit in Salzgitter-Bad statt.
Zuvor fuhren wir eine knapp zweistündige Tour, bei der jede Infektionseinheit auf einem eigenen Moped saß und den Mindestabstand von 1,5 m einhielt. Dank der Helme waren Mund und Nase ordentlich bedeckt, so dass alle wichtigen Regeln eingehalten wurden. Auch in der Kirche hielten wir uns an die Hygienevorgaben, was die sehr intensive Atmosphäre nicht beeinträchtigte. Musikalisch begleitet von der Kirchenband hielt „unser“ Motorradfahrerseelsorger Ulf Below den sehr berührenden Gottesdienst ab, der bei allen Anwesenden auf positive Resonanz stieß. Im Anschluss wurde an der frischen Luft gegrillt und gegessen, Erinnerungen geteilt und Neuigkeiten ausgetauscht, so lange es der herrliche Spätsommertag hergab.
Unser Fazit: von der Großveranstaltung zurück zum Ursprung – eine lange Reise, ein spannender Prozess. Besonders wir als neuer Vorstand mussten uns überlegen, wie wir all diese Herausforderungen meistern können und was für uns „ACM“ bedeutet, was das wirklich Wichtige für uns ist und welche Gedanken oder Grundsätze wir auf keinen Fall aufgeben wollten. Am Ende des Tages waren sich alle einig, die Demo nächstes Jahr gerne wieder „wie immer“ veranstalten zu wollen, doch für dieses Jahr – das Jahr, in dem alles anders ist – war es richtig, wie es war und macht uns deutlich, worauf es uns als ACM ankommt.