"Der amerkanische Sänger Bob Dylan hat den Literaturnobelpreis für das Jahr 2016 verliehen bekommen. Erstmals erhielt damit ein Sänger mit seinen Liedern, Worten und Melodien diesen Preis. Einer seiner bekanntesten Songs stammt aus dem Jahr 1964, als sich überall auf der Welt die Protestbewegungen bildeten.
Dieser Song heißt: The times they are a changin‘ - die Zeiten ändern sich.
Er spricht vom Konflikt zwischen der alten und der jungen Generation und fordert dazu auf, besser zu schwimmen als unterzugehen, wenn die Wasser ringsum ansteigen. Ich möchte dieses Bild auf unsere
kirchliche Situation hier in Salzgitter übertragen – und mit einstimmen: ja die Zeiten ändern sich und haben sich - nicht erst seit 1964 fortlaufend geändert.
Diese Tatsache ist uns allen sehr bewusst: die Wiedervereinigung Deutschlands, das Internet, das Handy sind ebenso wenig wegzudenken, wie das Recht von Frauen auf einen Arbeitsplatz – ohne dass der Ehemann den Arbeitsvertrag unterschreibt.
Auch in unserer Kirche hat sich viel verändert. Die Pfarrer tragen längst nicht mehr permanent schwarz, und seit vielen Jahren sind wir froh darüber, dass wir auch Pfarrerinnen haben. Wir leben als Kirche heute inmitten einer viel bunteren und freieren Gesellschaft als es früher der Fall war. Man geht nicht mehr traditionsgemäß mit der ganzen Schulklasse zum Konfirmandenunterricht oder als Erwachsener zum Gottesdienst am Sonntag in seine Kirche, sondern jeder und jede entscheidet für sich ganz
individuell: passt das für mich?
The times they are a changin‘ - die Zeiten ändern sich. Und so sind wir in unserer Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig aus verschiedenen Gründen bei einer Mitgliederzahl von nur noch ca. 350.000 angekommen - anstelle von weit über einer halben Million Menschen in den 60er Jahren. Zugleich haben wir aber immer noch eine ganz ähnliche Zahl von Ortsgemeinden wie damals. So hat sich die Landeskirche mit den Entscheidungen ihres Kirchenparlaments – der Landes- und den Propsteisynoden - in den letzten Jahren auf einen Weg begeben, der versucht den gewandelten Zeiten auch strukturell zu begegnen. Die Finanzausstattung der Gemeinden wurde geändert, die Anzahl der zukünftigen Pfarrstellen festgelegt und der bisher letzte Schritt: eine Neuzuordnung der lokalen und regionalen Zuschnitte der Kirchenzugehörigkeit wurde verabschiedet. Aus den unabhängigen Einzelgemeinden einer Propstei wurden Verbünde gebildet, die als Teams in ihrem „Gestaltungsraum“, so der Fachbegriff, zusammenarbeiten sollen.
Das heißt konkret für Salzgitter-Bad: die Gemeinden der zwei Regionen „Stadt“ und „Land“, Pfarrerinnen und Pfarrer und Kirchenvorstände sollen zukünftig in ihren Gestaltungsräumen noch stärker als bisher als eine Gesamtheit zusammenarbeiten. Dafür stehen im Gestaltungsraum „Stadt“ (d.h. Salzgitter-Bad mit Gitter und Hohenrode) ab dem Jahr 2020 noch 3,5 dotierte Pfarrstellen zur Verfügung. Die heutige Form des Gemeindebriefs ist bereits ein großartiges Zeichen gelebter Kooperation, oder auch das miteinander entwickelte Modell des stadtweiten Konfirmandenunterrichts.
Zukünftig soll diese Zusammenarbeit aber noch weiter gehen: neue Pfarrer werden durch die Gesamtheit der Kirchenvorstände eines Gestaltungsraums gewählt werden. Man kann miteinander Arbeitsschwerpunkte und unterschiedliche Gemeindeprofile entwickeln, oder die Kirchenbüros verbinden, um Synergieeffekte zu erzielen. Welche verbindliche Rechtsform die Gemeinden in Zukunft eingehen werden ist ihrer eigenen Entscheidung überlassen.
Die Kirchenvorstände können sich für eine relativ lockere Zusammenarbeit als „Pfarrverband alten Typs“ entscheiden oder für eine Fusion, bei der es für alle Kirchen nur noch einen gemeinsamen Kirchenvorstand, einen Finanzhaushalt etc. geben wird. Als dritte Möglichkeit sieht das seit Sommer dieses Jahrs gültige Gesetz den „Kirchengemeindeverband“ vor, bei dem die einzelnen Gemeinden organisatorisch weiterhin unabhängig bleiben, aber einen Teil ihrer Kompetenzen wie z.B. die Anstellungsträgerschaft für ihre beruflichen Mitarbeiter an ein übergeordnetes Gremium abgeben.
Diese Entscheidungen sollten in nicht allzu ferner Zukunft im Konsens gefällt werden, damit die inhaltliche Arbeit, die den Gestaltungsraum als Ganzes in den Blick nimmt, fruchtbar werden kann.
The times they are a changin‘ – ich halte die genannten Reformen für notwendige Versuche den geänderten Zeiten positiv zu begegnen und begrüße sie. Machen wir was daraus. Ob das Ergebnis schließlich nobelpreiswürdig sein wird, werden die nächsten Jahre erweisen."
Ralf Ohainski, Propst